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Im Priesterjahr zum Paulusjahr

2009/2010

Wir dürfen uns Paulus nicht wie in den fragwürdigen Paulusakten als „klein von Gestalt, kahlköpfig, mit krummen Beinen und etwas gebogener Nase“ vorstellen.

Da hat der Dichter Paul Claudel sein Wesen schon besser erfasst, wenn er schreibt:

„Er geht dort hin, wohin ihn der Wind führt, von einem Ende der Welt zum anderen, wie ein Feuer, das der Wind entfacht und das sich über das Meer wirft.“

Man verlästerte gern den Völkerapostel und nannte ihn einen Querkopf, der das Evangelium verändert habe, um sich zum zweiten Stifter des Christentums zu machen. Solche Behauptungen sind wohl aus reiner Antipathie entstanden.

In Wirklichkeit war Paulus eine tief „religiös erregte Natur“ von einer genialen Begabung, in deren Schatten die Christenheit jahrhundertelang dachte. Wohl war er in jungen Jahren ein hasserfüllter Verfolger der Christengemeinden; aber er überwand diese negative Phase, ohne Schaden zu nehmen an seiner Seele. Aus großen Sündern sind ja nicht selten große Heilige geworden, während Angehörige des kirchlichen Mittelstandes dazu kaum fähig sind.

Der Mann aus Tarsus saß „zu Füßen Gamaliels“.

Später sind ihm noch ganz andere Dinge aufgegangen, die man auf keiner Schule lernt. Paulus war kein Gelehrter – das war das Missverständnis des Festus, der Paulus anklagte: “Deine große Gelehrsamkeit macht dich rasend.“

Paulus war ein Denker.

Er hat das Evangelium denkend verarbeitet; doch war sein Denken vom Logos erleuchtet und unterschied sich daher vom rein verstandesmäßigen Denken. der Verfasser des „Römerbriefes“ dachte unablässig darüber nach, warum der Messias gekreuzigt wurde. Dafür fand er eine Antwort, die für alle christlichen Generationen Gültigkeit bekam: Er entwickelte nämlich eine kosmologische Erlösungslehre, nach der der Einzelne erlöst ist, weil die gesamte Welt erlöst wird!

Doch war Paulus alles andere als einer der vielen Intellektuellen. Denn er hatte das Evangelium immer auch „als Seelsorge“ begriffen. So hat er die Galater „immer wieder mit Ängsten geboren“ und den Korinthern Milch zu trinken gegeben, weil sie noch keine feste Speisen vertragen konnten. Mit seiner stürmischen Natur hat er die Frohbotschaft als eine Leidenschaft für das Übernatürliche begriffen, ja sein Leben war Flamme und Schrei zugleich. Niemand hat so lebendig-glühend vom Glauben geschrieben wie Paulus. Aus der Feder des Paulus stammt auch das „Hohelied der Liebe“.

Paulus war auch Visionär.

Vor den Toren von Damaskus ist ihm, der sich selbst als eine unzeitgemäße Geburt bezeichnete, der Herr so real erschienen, dass Paulus zu Boden stürzte; er betonte dass er sich „der himmlischen Erscheinung gegenüber nicht ungläubig“ verhalten habe.

Diese Lichtvision war seine „Berufungsvision“. Später erlebte er dann unvorstellbare Verzückungen bis in den dritten und vierten Himmel, in denen er Worte hörte, wie sie kein Mensch je vernommen hat. Seine Mahnung besteht durchaus zu Recht: Seine heutigen Leser und Hörer müssen lernen, die visionären Töne seiner Botschaft wieder in ihrer ganzen Klangfarbe herauszuhören und seine Theologie als die Erfahrungstheologie eines Visionärs zu verstehen.

Paulus gehört zu den Mystikern.

Beinahe handgreiflich sichtbar ist seine Mystik in seiner Redensweise vom „Sein in Christus“. Er stellt den Prototyp aller christlichen Mystik dar, denn seine Ausführungen umfassen sowohl die Gottes- wie die Christus-Mystik. Was eventuell seinen Darlegungen schadet ist, dass er sich der Begriffssprache der rabbinischen Theologie bedient, die natürlich dem Evangelium nicht ganz entspricht. Trotzdem aber bricht das strahlende Christusbild immer wieder mächtig durch.

Bernhard Heimann (Priesterbund)